59. Sitzung der Nationalversammlung

In der 59. Sitzung der verfassungsgebenden Nationalversammlung werden die in den Ausschüssen beratenen und erstellten Verfassungsartikel zu „Religion und Religionsgesellschaften“ abschließend diskutiert und abgestimmt.
In den Diskussionen über den (späteren) Artikel 138 schlägt die Deutsche Volkspartei (DVP) vor, den Begriff „Herkommen“ einzufügen und eine Klarstellung einzufügen, dass bis zum Erlass eines Reichgesetzes nicht abgelöst werden dürfe. Die Sozialdemokratische Partei (SPD) spricht sich gegen die Ablösungsnotwendigkeit aus. Die Deutschen Demokraten bekräftigen die Absicht, Staat und Kirche voneinander frei zu stellen, sie juristisch und finanziell voneinander zu trennen, während der Vertreter der Deutschnationalen Volkspartei meint, dass Staat und Kirche sich immer überschneiden werden, weil der Staat die Kirchen braucht. Dem widerspricht der Sprecher der Unabhängigen Sozialdemokraten auf das Entschiedenste.
In der abschließenden Abstimmung wird der spätere Art. 173 in den Verfassungsentwurf neu eingefügt. Alles andere bleibt so, wie es der Hauptausschuss bereits diskutiert und vorgeschlagen hatte.
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Prof. Dr. Dr. Dr. Wilhelm Kahl (Jurist), Deutsche Volkspartei (DVP)

[…] „Zu Art. 135 [endgültig Art. 138] haben wir – ganz kurz zusammengefasst – ein Zweifaches beantragt, zunächst im ersten Absatz nach „Vertrag“ das Wort „Herkommen“ einzusetzen. Man hat mir eingewendet, das sei nicht notwendig, weil es heißt, die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen würden abgelöst. Aber der Antrag hat doch praktischen Wert. Denn das Herkommen, das Gewohnheitsrecht kann nicht ohne weiteres als „besonderer Rechtstitel“ bezeichnet werden. In einer Reihe von Gesetzen, die Staatsleitungen für die für die evangelische Kirche auswerfen, ist außerdem nach dem Gesetze und Vertrage das Herkommen ausdrücklich genannt. Daher darf nicht der Eindruck entstehen, als ob die auf Herkommen beruhenden Staatsleistungen in Zukunft unabgelöst bleiben. Lediglich um der Klarheit willen bitten wir Sie, dem kleinen Antrage stattzugeben und neben „Vertrag“ das Wort „Herkommen“ zu setzen. Geschähe es nicht, so würde ich annehmen, daß die Nationalversammlung das Herkommen ohne weiteres als „besonderen Rechtstitel“ anerkennt.

Endlich handelt es sich noch um eine Klarstellung, nach unserem letzten Antrage 422, 16 b einzufügen: „Bis zum Erlaß des Reichsgesetzes bleiben die bisherigen Staatsleistungen bestehen.“ Vorhergehend heißt es, daß die Staatsleistungen abgelöst werden sollen und daß die Grundsätze für die Ablösung von einem Reichsgesetze aufgestellt werden. Wann dieses Reichsgesetz ergehen wird, weiß niemand. Wir versprechen in der Reichsverfassung so außerordentlich viele Reichsgesetze,

(sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei)

daß mir oft zweifelhaft ist, wann der Zeitpunkt eingetreten sein wird, in dem alle diese Reichsgesetzgebungswechsel eingelöst werden können. Es ist aber für die evangelische Kirche nicht nur, sondern auch für die katholische von großer Bedeutung, daß für diesen Zwischenzustand, der Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern kann, wenigstens der gegenwärtige Rechtszustand sichergestellt ist. Wir haben alle Veranlassung, dies zu betonen. Mir werden Klagen aus verschiedenen Einzelstaaten zugestellt, in denen man inzwischen Staatsleistungen von kurzer Hand für den Staatssäckel eingezogen hat. Das ist contra bonam fidem, gegen das Gesetz. Deshalb muß gegenüber der unrühmlich betätigten Eigenmacht einzelner Einzelstaaten festgestellt werden, bis die Reichsgesetzgebung diese Ablösung näher regelt, die bisherigen Staatsleistungen ihren gewöhnlichen Weg gehen.“ […]

 

Dr. Max Quarck, (Redakteur) Sozial-demokratische Partei (SPD)

[…] „Von anderen Anträgen mögen noch zwei unsere Aufmerksamkeit verdienen; von den übrigen spreche ich nicht. In Vorbereitung ist ein Antrag des Herrn Kollegen Gröber, die Möglichkeit für Religionsgesellschaften zu eröffnen, auch Nichtmitglieder zu besteuern. Er hat die Güte gehabt, auch mit mir schon darüber zu reden. Ich habe mich ablehnend zu diesem Antrag v erhalten. Man kann doch wahrhaftig, wenn man überhaupt das Besteuerungsrecht zugibt, nicht auch noch so weit gehen, Nichtmitglieder, vielleicht Aktiengesellschaften und juristische Personen, die gar kein Religionsbekenntnis haben können, dem Steuerrecht der Religionsgemeinschaften zu unterwerfen. Das ist ein abwegiger Gedanke, den wir ablehnen.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)

Noch abwegiger ist aber der Zusatzantrag, den der Herr Kollege Dr. Kahl gestellt hat, in Art. 135 die Ablösenotwendigkeit zu erweitern, die ja schon außerordentlich große Lasten für unseren hart mitgenommenen Geldbeutel bringen wird und für deren Objekte manches gilt, was der Herr Minister Preuß in der Begründung seiner ersten Vorlage von der Entstehung der Einzelstaaten gesagt hat. Zufälligkeiten des Besitzes, auch Gewalt und andere Dinge haben in der Geschichte der Kirche eine große Rolle gespielt und ihr Vermögen vergrößert. Nun aber dem noch hinzuzufügen, daß auch alles, was auf Herkommen begründet ist, abgelöst werden muß, das würde die Ablösung ins Uferlose erweitern.

Mir fällt dabei ein, wie schlau und vorsichtig die mecklenburgischen Bauern in solchen Dingen waren. Fritz Reuter erzählt das. Sie müssen entschuldigen, wenn ich das Platt nicht wiedergeben kann. Die Bauern bringen ihrem Pfarrer den großen Kuchen. Er schreibt etwas ins Kirchenbuch. Sie sind neugierig, was er schreibt, und fragen. Und da antwortet er ihnen: „Es ist nur der Observanz wegen! Ich habe geschrieben: die Bauern brachten heute wieder einen großen Kuchen.“ Worauf die Bauern antworten: Herr Pfarrer, schreiben Sie man dazu: sie tragen den Kuchen gleich wieder weg – nur der Observanz wegen.

(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten)

Ich meine, es ist eben gefährlich, solche Dinge auch noch als Grundlagen für finanzielle Ablösungen nehmen zu wollen, ganz unbestimmte, unkontrollierbare Rechte, über die noch erst große Prozesse geführt werden müssten. Wir haben absichtlich im Ausschuß auf Gesetz und Vertrag und begründete Rechtstitel die Ablösungsfrage beschränkt. Darin steckt schon gerade genug.

Nun lassen Sie mich noch eine allgemeine Bemerkung machen. Wir sind, nachdem wir die Demokratie in der Verfassung durch den bekannten Satz „Die Staatsgewalt liegt beim Volk“ begründet hatten, nachdem wir in politischer Beziehung erklärt hatten, auf Macht und Gewaltmittel für Geltendmachung irgendwelcher Ansichten und Überzeugungen müsse allseitig verzichtet werden, zu den Kirchenbestimmungen gekommen, wo doch dasselbe durchzuführen war. Und ich berufe mich auf das Zeugnis der Herren sowohl von der katholischen als der evangelischen Seite, das sie uns im Ausschuß übrigens schon gegeben haben: wir sind ihnen mit voller Toleranz und Loyalität entgegengekommen. Sie haben ihre Freude darüber ausgedrückt, daß wir keinerlei Kulturkampfanläufe genommen und keinerlei Kulturkampfbestimmungen vorgeschlagen haben, sondern dass wir von einem Satz ausgegangen waren, der ja gerade in diesem Kriege und nach diesem Kriege erhärtet ist: daß innere Bedürfnisse, seelische Regungen, das ganze Gebiet der Psyche und der Innerlichkeit des Menschen sich der Regulierung durch die Gesetzgebung entziehen, und daß es neben allem staatlichen und öffentlichem Erleben ein Persönliches im Menschen gibt, dass auch die Sozialdemokratie achtet und schützt und dessen Vertiefung sie anstrebt.

Also keinerlei staatliche Glaubensherrschaft mehr, sondern Glaubengemeinschaften, innerliche Glaubensgemeinschaft! Und wenn keinen Glaubensherrschaft mehr, keine Gewaltherrschaft mehr, so auch keine Herrschaftsmittel mehr! Der Staat will nichts mehr von den Machtmitteln der Kirche borgen, er hat vollkommen verzichtet auf irgendeine Degradierung der Kirche zu seinem Gehilfen. Die Kirche soll aber auch nichts mehr vom Staate mehr borgen, sie sollen beide friedlich-schiedlich nebeneinander den Weg der Kulturförderung zu gehen versuchen.

Wir haben uns aber in der Annahme schmerzlich getäuscht, daß dieser Standpunkt Verständnis finden würde; denn im Ausschuß ist es das Bestreben der bürgerlichen Parteien gewesen, eine ganze Reihe staatlicher Machtmittel der Kirche weiter zu erhalten. Indem ich diese Tatsache konstatiere, bedauere ich sie aufs tiefste im Namen des Sozialismus in diesem weltgeschichtlichen Augenblick.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)

Wir hätten zu der reinlichen Scheidung ohne jeden Kulturkampf kommen können. Aber wir haben erlebt, daß die Kirche mit Unterstützung sämtlicher bürgerlicher Parteien auf ihrer öffentlich-rechtlichen, privilegierten Stellung um jeden Preis bestehen blieb. Sie erklärt, nicht auskommen zu können, wenn ihre Beamten nicht Privilegien in bezug auf ihre äußere Stellung, in bezug auf Strafschutz und in bezug auf andere Dinge haben. Sie erklärt, nicht auskommen zu können, wenn sie nicht das Hilfsmittel der staatlichen Besteuerung mit in Bewegung setzen könne. Für Religionspflege im Heer sollen staatliche Mittel bereitgestellt werden, ebenso wie in der Volksschule.  Dies alles hat es zu einer reinlichen Trennung nicht kommen lassen, vielmehr zu einem ganz einseitigen Verhältnis, bei dem zwar die Kirche vollkommen frei ist von staatlichen Einflüssen, aber der Staat nicht frei von kirchlichen Forderungen und sogar geldlichen Verpflichtungen an die Kirche.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)

Das man zum Beispiel das Privilegium der öffentlichen Körperschaft mit all seinen weitreichenden Folgen, wie auch schon im Ausschuß, so vorhin hier, damit begründet, man könne sich doch nicht jedem Sportklub gleichstellen lassen, hat mich damals ehrlich gewundert und wundert mich heute in seiner Wiederholung. Nach unserer Auffassung sollte die Kirche soviel innerliche Werte bieten können, daß eine Verwechslung mit einem Sportklub auch im kleinsten kreis ganz ausgeschlossen wäre.

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten)

Wenn sie die nicht bietet, dann noch schlimmer für sie, dann hilft ihr’s auch nicht, wenn sie rechte, die über die Rechte eines Sportklubs hinausreichen, bekommt.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)

Und wenn die Kirche ihre Mitglieder nicht durch die innerliche Glaubensgemeinschaft so zu fesseln versteht, daß jedes Mitglied dieser Kirche bereit ist, Opfer bis zum letzten zu bringen, wie wir Sozialisten für unsere Sache es tun, und wie es andere große Gesinnungsgemeinschaften für ihre Sache tun, dann ist auch das Besteuerungsrecht, das die Kirche vom Staat mit den Steuerlisten geborgt bekommt, nur eine Äußerlichkeit, die der Kirche keine Förderung in ihrer äußeren und innerlichen Entwicklung bringt.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)

Deshalb bedauern wir also das Steckenbleiben der reinlichen Trennungsarbeit im Ausschuß und wahrscheinlich auch im Plenum.“ […]

 

D. Friedrich Naumann, (Schriftsteller) Deutsche Demokratische Partei (DDP)

[…]

Religionsgesellschaften sind etwas, was beständig neugeboren wird, im werden ist; und wer diesen werdenden und fließenden organischen Charakter alles religiösen Lebens nicht begreift, für den ist die ganze Kirche nur eine Form. Der, für den sie Inhalt hat, weiß, daß in ihr ein beständiges Schaffen ist, mit immer neuem Erfassen der jenseitigen und irdischen Dinge.

[Anm.: Friedrich Naumannn ist ‚von Hause aus’ Pfarrer]

In diese freie, innerliche Auffassung aber gehört leider wie in alles Menschliche hinein, daß auch bei den idealsten Bestrebungen für die materiellen Grundlagen gesorgt werden muß. Über diese erfahren wir hier in der Übersicht, welches System die Kirchen künftig haben sollen. – Erstens: die alten Besitztümer der Kirchen bleiben ihr Eigentum in dem vorhin von mir kurz angedeuteten Sinne, daß auch ihr Eigentum allen Beschwernissen und Beschränkungen unterliegt, die das private Eigentum an sich hat, aber auch alle Rechte genießt, die das private Eigentum an sich hat. Zweitens: Jene alten Verpflichtungen der Staaten. die einst entstanden aus Säkularisationen etwa vom Rastatter Tage oder von den preußischen Kirchenentnahmen während der Freiheitskriege oder aus späteren Verschiebungen, sollen auf einen gerechten Ausgleichsstand gebracht werden. Wenn dabei der Antrag Heinze das Wort „Herkommen“ einfügen will, so erscheint uns das überflüssig, weil schon hier steht: „Besondere Rechtstitel“.

Was soll das Wort „besondere Rechtstitel“, wenn es nicht jene Forderungen bezeichnet, für die die Billigkeit spricht, ohne daß der Wortlaut alter Verträge absolut exakt ist? Für alle diese alten Fundationen existieren fast gar keine Verträge, die nicht verjährt sind, keine Verträge, deren Subjekte und Objekte heute noch dieselben sind wie damals. Daß man in dem Ausgleichsverfahren etwas Rücksicht auf das Herkommen in diesem weiteren Sinne nehmen muß, ist klar. es erscheint aber unnötig, einen besonderen Wortlaut dafür anzunehmen.

Ein schwierigerer Punkt sind die Zahlungen an die Kirchen, die im Staatshaushalt bisher enthalten waren. Sie beziehen sich zunächst auf Gehälter von Kirchenbeamten, auf Unterstützung armer Gemeinden  und insbesondere auf die Pensionsfonds. Diese Leistungen sind gegenwärtig ein Recht, aber Leistungen, die durch den Haushaltsplan immer neu beschlossen werden müssen, sind selbstverständlich keine ewigen Rechte.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten)

Man wird  für gerechten und billigen Ausgleich in der Landesgesetzgebung die nähere Form finden müssen und wird sicher zwischen den verschiedenen Kirchenansprüchen einen Unterschied machen müssen. Diejenigen Kirchendiener, die aufgrund von budgetären Bewilligungen in ihre Stellen eingetreten sind, werden bis zu ihrem vermutlichen Dienst- oder Lebensende einen Anspruch auf Fortsetzung dieser Stellen haben, der ein Rechtsanspruch ist. Ob darüber hinaus vom Staat Zahlungen dieser Art gewährleistet werden ist eine andere Frage. Sie gehört in die Landesgesetzgebung. Von irgend einem Zeitpunkt an übernimmt die Kirche derartige Pflichten. Was wir aber als Mitglieder der Kirche nicht mehr haben wollen, ist die Bezahlung der kirchlichen Oberbeamten durch den Staat. Die Kirche muß sagen können: Wir wollen uns unsere Konsistorialräte selbst bezahlen.

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten)

Also hier Schluß damit!

Als letzte und wohl wichtigste Form der materiellen Versorgung der Kirche erscheint die Besteuerung. Das ist das Letzte, worüber ich noch etwas reden möchte. Herr Dr. Quarck hat gesagt: wenn man den Gedanken der freien Kirche im freien Staat bis zu seinem Ende durchdenkt, so wird der Staat auch keine Mithilfe zur Besteuerung geben, sondern wird es den Kirchengemeinschaften überlassen, so wie es heute die Sekten, kleinen Gemeinschaften und amerikanischen Kirchen tun, sich durch freiwillige Gaben und Sammlungen zu erhalten. Das ist an sich durchaus möglich. Ich frage mich nur, ob es sachlich besser ist, als ein System, zu dem wir hier übergehen wollen; und das leugne ich. Die Kirche als Finanzkörper wird durchaus erhalten auch beim amerikanischen System. Jedermann weiß, dass in New York ebenso wie in Chicago mehr Kirchen sind als in den deutschen Großstädten, daß dort ein sehr lebendiges Religionsleben entsteht, aber es darf nicht außer Augen gelassen werden, daß dieses Religionsleben im Grund auf einem gefährlichen Patronatssystem aufgebaut ist,

(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten)

nämlich auf mäcenatischen Gaben reicher Leute. Wenn die angelsächsischen Amerikaner, deren Kirchensystem nicht besser ist, vielfach den Deutschen vorwerfen: eure Kirchen sind die Schöpfung von Bierbrauern -, so wollen sie damit nur sagen: der reichste Mann unter den Deutschen ist häufig der Bierbrauer, er ist zugleich der größte Wohltäter für die Kirche; die Stellung, die die Kirche in der Abstinenzbewegung hat, hängt bisweilen ab von der der finanziellen Gründung des Instituts. Mag das oft oder selten der fall sein, ich will damit nur sagen: die Kirche auf freiwilliges Patronatssystem verweisen, heißt nicht, sie materiell ertöten, sondern heißt, sie in einseitig kapitalistisch interessierte Hände zu bringen.

(Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten. Zuruf bei den Sozialdemokraten: Das bleibt ja beim Besteuerungsrecht auch!))

– Bei der Besteuerung bleibt das nicht so! Die Besteuerung ist ein unpersönliches Werk, und jeder kann sich ja durch Austritt der Besteuerung entziehen, wie er es jetzt schon konnte. Man mag vielleicht den Austritt aus der Kirche noch um einen Besuch erleichtern. Bisher mußte man nämlich zwei Besuche machen, wenn man aus der Kirche ausschieden will. Manchen Leuten ist das schon zuviel. Man kann den Austritt vielleicht bis auf einen Akt reduzieren, bei dem die Austrittserklärung erfolgt. Dann ist er frei! Trotzdem: die Mehrzahl bleibt’s, hat gezahlt, wird zahlen. In diesem Sinne bleibt die Zahlung freiwillig, weil es so leicht ist, sich ihr zu entziehen, und sie geschieht einheitlich und bleibt frei von Bettelei und Privatgunst.

[…]

Damit genug! Hoffen wir, daß das Verfassungswerk wirklich zur neuen Periode evangelisch-deutscher Entwicklung führen wird.

(Lebhafter Beifall bei den Deutschen Demokraten)

[…]

 

Karl Veidt, (Pfarrer an der Paulskirche, Ffm.), Deutsch-nationale Volkspartei (DNVP)

„Meine Damen und Herren! Ich greife zwei Worte auf, die von meinen Vorrednern D. Naumann und Dr. Quarck ausgesprochen worden sind. Herr Dr. Quarck hat die heutige Sitzung als eine weltgeschichtliche Stunde bezeichnet. Herr D. Naumann hat gesagt, der heutige Tag, an dem sich die Trennung von Staat und Kirche vollzieht, sei ein Freudentag der evangelischen Kirche. Ich gebe dem Worte, daß die heutige Stunde eine weltgeschichtliche Stunde sei, ohne weiteres recht, und zwar aus zwei Gründen. Einmal handelt es sich bei diesem Teil der Verfassung, über den wir heute beraten, um die größten Kulturorganisationen, die innerhalb des Staates bestehen, und zum anderen handelt es sich darum, daß an diesem Punkte eine völlig neue Rechtsgrundlage geschaffen werden soll. An den meisten anderen Stellen bringt die Verfassung lediglich eine bereits tatsächlich erfolgte Änderung der Rechtslage oder eines bisher bestehenden Zustandes zum Ausdruck. An dieser Stelle dagegen handelt es sich um die Schaffung einer Rechtsgrundlage. Beseitigt ist durch die Revolution allerdings ein wesentliches Stück der bisherigen Gestalt der Kirchen, nämlich das landesherrliche Regiment. Nicht beseitigt war bisher der staatskirchliche Charakter der Kirche. Darin soll sich durch diesen Abschnitt der Verfassung die grundlegende Änderung vollziehen, eine Änderung, die von unübersehbarer Tragweite ist.

[…]

Ich bin auch nicht der Ansicht, daß die Befreiung vom Staatschristentum nun mit einem Schlage bei uns einen großen Jubelhymnus auslösen müßte. Ich meine vielmehr, daß eine äußere Änderung der Verfassung überhaupt nicht die große Bedeutung für die Kirche haben kann, die man ihr gewöhnlich beimißt, sondern daß es dabei auf ganz andere Gebiete und Kräfte ankommt. Ich bin gewiß, daß die Rolle der Volkskirche, die die Staatskirchen bisher in ihren Staaten zu erfüllen bemüht gewesen sind, ihnen weiter verbleiben wird, und daß sie ihre volkskirchlichen Aufgaben unter der neuen Verfassung erst zu erfüllen verstehen werden. Aber daß sie überhaupt in den Stand gekommen sind, Volkskirchen in diesem Sinne zu werden, verdanken sie gerade der Bindung an den Staat und der Einheit mit dem Staat; und wenn man nun meint, daß die Trennung von Staat und Kirche, die mit dem lapidaren Satze des Art. 134: [Anm.: endgültig als Art. 137] „Es besteht keine Staatskirche“ in dieser Weise – ich möchte einmal sagen – mit einem anatomischen Schnitt vollzogen werden kann, so ist das doch wohl ein großer Irrtum. Bei der Trennung von Staat und Kirche haben wir es mit einem geschichtlichen Prozeß zu tun, der außerordentlich große Zeiträume umfaßt. Es kann sich in der Hauptsache nur um eine andere Schichtung dieser beiden Größen handeln, um eine andere Lagerung, um ein anderes gegenseitiges Verhältnis. Daß Staat und Kirche nicht einfach auseinandergeschnitten werden können, das liegt für jeden Kenner der Dinge auf der Hand.

(Sehr richtig! rechts.)

Staat und Kirche werden niemals zwei Kreise werden, die auf verschiedenen Flächen liegen oder die vollständig auseinanderfallen; Staat und Kirche werden immer zwei Kreise bleiben, die sich schneiden, und es wird ein gewisses gebiet immer da sein, das ihnen beiden gemeinsam ist.

[…]

Im übrigen meine ich, daß der Staat bisher von der Kirche viel mehr erhalten hat, als er für die Kirche ausgegeben hat, wenn man die ideellen Leistungen der Kirche würdigt, wenn man daran denkt, was die Kirche auf dem gebiet der inneren Mission und der freiwilligen Armenpflege geleistet hat, wie sie die Kräfte dazu mobil gemacht hat.

(Sehr richtig! rechts.)

Ich bin der Meinung, daß der Staat in Zukunft die Kirche noch mehr als bisher braucht, weil ja alles darauf ankommt, daß wir unser Volk von innen heraus erneuern. Die Kirche steht an der Spitze der Mächte und Faktoren und Kreise in unserem Volke, die alle Kraft dafür einsetzen, daß die innerliche Gesundung unserers Volkes einsetzt. Wir wollen unser Volk erst von innen heraus, dann nach außen neu aufbauen.

[…]

 

Fritz Kunert (Lehrer), Unabhängige Sozialdemo-kratische Partei (USPD)

„Geehrte Versammlung! Ich nehme nicht den Standpunkt ein, auf den sich mein Herr Vorredner hier gestellt hat, wenn er sagte, daß wir uns jetzt in einem weltbewegendem Moment, in einer weltgeschichtlichen Stunde. gewissermaßen in einer Art Weltenwende befände; ich merke davon nichts. Ich befinde mich auch nicht auf der feierlichen Basis, auf der sich die anderen Herren Redner bewegten, auf der religiösen, kirchlichen oder konfessionellen Basis. Wir sind hier innerlich die vielleicht am wenigsten an der Sache Interessierten, und das, was wir zu sagen haben, haben wir kurz zusammengefaßt in dem Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben. Gegen diesen Antrag haben sich eine Reihe von Rednern geäußert, darunter der Angeordnete Herr Kahl mit schwachen Gründen und ihm folgende Diskussionsredner. Da ich annehme, daß der Antrag Ihnen nicht übermäßig bekannt ist, gebe ich seinen Inhalt wieder:

Es besteht keine Staatskirche. Staat und Kirche sind staatsrechtlich und vermögensrechtlich voneinander zu trennen.

Hierin liegt keine Tautologie, wie Herr Kahl andeutete, sondern nur ein berechtigtes Mißtrauen, das in der Verfassung selbst seine Motive findet. Diese Trennung ist nötig. Sie ist nicht damit vollzogen, daß die Worte in die Verfassung gesetzt sind: Es besteht keine Staatskirche.

[…]

Diese Verfassung hat – es wäre töricht, das zu leugnen – gewisse Vorzüge; es ist eine Konzession, die man machen muß. Aber wie die Verfassung als Ganzes rückständig und für Sozialdemokraten unannehmbar ist, so auch die Artikel 132 bis 147, die sich auf die Religionsfrage und die Schulfrage, auf Kirche, Staat usw. mit allen ihren Untertiteln beziehen. Diese sind so, daß der reaktionäre Pferdefuß überall grotesk herausschaut. Nehmen Sie den Art. 132, wo gesagt wird:

Alle Bewohner des Reiches genießen volle Glaubens-, Gewissens und Gedankenfreiheit.

Das kann man dich nur cum grano salis genießen. Der Beweis dafür liegt in dem folgenden Artikel 133, wo ausdrücklich gesagt wird:

Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden.

Es liegt kein Zwang vor! Das hört sich außerordentlich menschlich an. In Wirklichkeit aber wird dieser Zwang durch die wirtschaftlichen Verhältnisse, durch die kapitalistische Übermacht doch ausgeübt. Das sehen Sie alle Tage in der Schule, in den Gerichtssälen, in der Kirche.

[…]

Auffallend ist am meisten in diesem Art. 134 [Anm.: in der Verfassung dann der Art. 137], daß die Religionsgesellschaften berechtigt sein sollen, ihre Mitglieder zu besteuern. Meine Freund und ich haben absolut nichts dagegen, das Vereinsbeiträge eingezogen werden wie bei jedem anderen Verein; aber wir können nicht zugeben, daß der Staat gewissermaßen als Exekutor zur Wahrnehmung kirchlicher Interessen, die ihn nichts angehen, eintritt

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

und sich dafür verbürgt, daß nun auch die Gelder wirklich an die Kirchen abgeführt werden.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Zu welchen Zuständen führt denn das? Wir haben dann die Zwangsvollstreckung auf kirchlichem Gebiet, die doch im Interesse der Kirche eigentlich nicht liegen kann, sondern die Menschen auf das allerstärkste aufregt und gegen die Kirche einnimmt.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Wir wünschen also, daß der ganze Passus über die Besteuerung gestrichen wird.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Wenn ich vorhin die restlose Trennung von Kirche und Staat verlangte, so sehen Sie jetzt, wie notwendig es gewesen ist. Sie wollen ja fast alle die restlose Trennung gar nicht, weder Sie auf der Rechten, noch die Herrschaften im Zentrum und andere.

Ähnlich liegen die Dinge mit Art. 135 [Art. 138]. Da haben Sie die Sicherstellung des Eigentums der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine für ihre Kults-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke. Um was für ein Eigentum handelt es sich dabei? Es sind das ererbte, erschlichene Riesenvermögen, Vermögen der toten hand, mobiles und immobiles Kapital nach Millionen und Milliarden. Im Hinblick auf die furchtbare Finanzlage der deutschen Republik ist es angebracht, daß hier die höchsten Steuersätze eintreten,

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

daß eventuell die Konfiskation verlangt und durchgesetzt wird. Das wäre gerechtfertigter, als eine so laxe Bestimmung in die Verfassung aufzunehmen.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

 

[…]

Geehrte Versammlung! Wenn schon im lande noch so schwere Verhältnisse herrschen, wenn schreiende Elend und erschütternde Beweise der Massenarmut vorhanden sind, dann nimmt die Kirche trotzdem alles das, was sie irgend kriegen kann, unter allen Umständen.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Wirkliche Befreiung der Kirche von der Staatskontrolle, die geradezu skandalös war und noch ist, bedingt eben die restlose Trennung von Kirche und Staat. Aber wenn die Kirche damit einverstanden ist, wenn sie diesen Satz für einen moralischen hält, dann hat sie auch die Verpflichtung, keinerlei Backschisch, keinerlei fette Trinkgelder vom Staate in Form von Subventionen, Gehältern usw. anzunehmen.

(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Also wir verlangen: Keine Kirchensteuer, dafür Mitgliederbeiträge und stärkste Heranziehung des Kirchenvermögens.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

Kein Pfennig darf der Kirche aus kommunalen oder aus staatlichen Kassen zugute kommen.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

 

[…]

Das, was ich hier ausgeführt habe, will ich noch einmal kurz resümieren.

(Unruhe und Zurufe im Zentrum und bei

den Deutschen Demokraten)

Die Religion ist reichsgesetzlich ausschließlich Privatsache von Personen und Vereinen, womit das reich von seinen Beziehungen zu Kirche, Religion oder Konfession mit allen ihren Ansprüchen vom Reich und speziell von seinen Schuleinrichtungen restlos getrennt sind und getrennt bleiben sollen. Darüber die Massen aufzuklären, ist eine der Aufgaben, die wir Unabhängige Sozialdemokraten uns gestellt haben.

Der größte Nichtchrist, den Herr Ebert [Anm.: seit 11. Februar 1919 Reichspräsident] als genius loci gefeiert hat, Wolfgang Goethe, äußerte sich zu E ckermann im Jahre seines Todes in demselben Sinne: Es gibt viel Dummes in den Satzungen der Kirche, aber sie will herrschen, und da muß sie eine bornierte Masse haben, die sich duckt und die geneigt ist, sich beherrschen zu lassen. Die reich dotierte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr als die Aufklärung der unteren Massen.

Wir wollen für diese Aufklärung nach bestem Vermögen sorgen unter der Devise: Die Religion der Zukunft ist die Arbeit.

(Lebhaftes Bravo bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)

 

Paul Ende (Pfarrer) Deutsche Demokratische Partei (DDP)

Den Standpunkt meiner Fraktion hat der Herr Abgeordnete Naumann bereits dargelegt, und ich habe dem für die Fraktion nichts hinzuzufügen. Ich spreche für mich persönlich, und zwar zugleich im Namen vieler Tausender religiöser Menschen, die der festen Überzeugung sind, daß religiöse, überhaupt geistige Bewegungen am besten auf dem Boden absoluter Gleichberechtigung gedeihen, auf dem Boden des freiesten Wettbewerbs.

[…]

Ich habe mich bemüht, einen Weg zu finden, um die Bahnen zur reinlichen Entstaatlichung der Kirche freizumachen. Aber ich bin auf Schwierigkeiten gestoßen, die wohl daran lagen, daß es untunlich erschien, an den mühsam zustande gekommenen Vereinbarungen eine Änderung zu treffen. Ich stelle deshalb auch keinen Antrag. Aber ich möchte um der Steuer der Wahrheit willen es wenigstens in der Nationalversammlung ausgesprochen haben, daß es nicht bloß die sozialdemokratischen Parteien auf Grund ihrer Parteidoktrin sind, die die reinliche Entstaatlichung der Kirche fordern, sondern daß es viele Tausende in allen religiösen Lagern auf der Rechten wie auf der Linken sind, die es fordern aus Religion und zur Sicherung der Gewissensfreiheit.

(Bravo! bei den Deutschen Demokraten – Hört! hört! bei den Sozialdemokraten)

 

Datei mit Bildern der Abgeordneten, Quellen- und Seitenabgaben: 1919_06_17_Nationalversammlung_59.Sitzung