Buchstaben und Geist

freitag.de, 22.4.2011
Milliarden an Staatsleistungen sind seit 1919 an die Kirchen geflossen – dem verfassungsmäßigen Ablösungsgebot zum Trotz

Die beiden Sätze, die für Johann-Albrecht Haupt zu den entscheidenden gehören, stehen im Grundgesetz, und doch finden sie sich nicht darin. Nur ein Hinweis: Weit hinten, in Artikel 140, wird auf fünf Artikel der Weimarer Verfassung verwiesen, die „Bestandteil dieses Grundgesetzes“ sind. Einer davon lautet: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Doch dieser Auftrag, sagt Haupt, sei bis heute unerfüllt geblieben: „Es hat sich einfach niemand daran gehalten.“
Der Jurist sitzt im Vorstand der Humanistischen Union, einer Bürgerrechtsorganisation, die nun eine Bilanz dieser Unterlassung präsentiert hat. Rund 14 Milliarden Euro sollen die Länder – Bremen und Hamburg aus hanseatischer Tradition ausgenommen – an die katholische und evangelische Kirche seit 1949 gezahlt haben. Begründet wurde dies mit dem Anspruch auf Entschädigung für die Säkularisierung im 19. Jahrhundert, herhalten muss dafür meist der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, mit dem geistlicher Fürstenbesitz entzogen wurde. Haupt dagegen meint, die Milliarden seien nicht nur verfassungswidrig, sondern für die öffentlichen Haushalte auch eine Last ohne hinreichende Begründung. Die Kirchen, schuldenfrei und vermögend, sollten sich selbst finanzieren. Und schließlich, darauf legt Haupt großen Wert, gehe es keineswegs um Geld für Schulen, soziale Dienste oder die Entwicklungshilfe. (…)

Ob eine Ablösung nun mit oder ohne Entschädigung erfolgt: Die Kirchen würde es kaum in Schwierigkeiten bringen. Zwischen zwei und fünf Prozent machen die Staatsleistungen in ihren Haushalten aus, „gewisse Beeinträchtigungen“ seien zwar denkbar, so Haupt. Im Konzert der sonstigen Zahlungen des Staates und der den Kirchen gewährter Privilegien handelt es sich allerdings um eher kleine Beträge. Das freilich schmälert die verfassungspolitische Bedeutung der nunmehr über 90 Jahre bestehenden Ablösungsforderung nicht.

Den Weg über Karlsruhe zu nehmen, hat man bei der Humanistischen Union als zu kompliziert verworfen; unter dem Strich laufe es ja doch auf eine politische Entscheidung heraus, sagt Johann-Albrecht Haupt. Wie lange das Ablösungsgebot von 1919 noch auf Verwirklichung warten muss, weiß indes auch Carsten Frerk nicht. „Wir sind da noch sehr am Anfang.“

 

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