Johann Albrecht Haupt: Stellungnahme zum Kommissionsbericht der Grünen

Der Jurist Johann Albrecht Haupt, Mitglied des Beirats der Humanistischen Union, nimmt verschiedene Punkte des Abschlussberichts unter seine kritische Betrachtung, auch den Punkt VI. „Staatleistungen“, den er in zentralen Teilen kritisiert.

Er schreibt dazu in zwei kurzen Vorbemerkungen:
„Ich bin nicht als Bündnisgrüner gebunden, daher fühle ich mich frei, ohne die Notwendigkeit politischer Rücksichtnahme meine Auffassungen zu äußern. Daraus mögen sich manche deutliche Worte erklären; die Absicht, jemanden zu verletzen oder die Arbeit der Kommission herabzusetzen, liegt mir in jedem Fall fern.
Der Kommissionsbericht enthält zahlreiche Einschätzungen, die ich zumindest in der Tendenz, häufig auch im Ergebnis für richtig halte (z.B. Religiöse und weltanschauliche Pluralität, Gedenk- und Trauerkultur, Rassismus, Seelsorge, § 166 StGB, Beschneidung). Ich werde mich im Folgenden vor allem zu den Punkten äußern, bei denen ich die Kommissionsdarstellung ganz oder teilweise für korrekturbedürftig oder unzutreffend halte.
(…)

VI. Staatsleistungen

Der Vorsatz, die Staatsleistungsablösung „sofort“ anzugehen, wird lebhaft begrüßt, mit etwas Bitterkeit zugleich angesichts der von den politisch Verantwortlichen, auch der Partei Bündnis 90/Die Grünen, schon jahrzehntelang vertanen Gelegenheiten, dem inzwischen nahezu 100 Jahre alten zwingenden Verfassungsgebot (Art. 138 Abs.1 WRV) endlich Folge zu leisten. Der Umstand, dass sogar den Amtskirchen die staatliche Alimentierung inzwischen offensichtlich peinlich geworden ist, sollte den Politikern aller Parteien Veranlassung sein, tätig zu werden. Uneingeschränkt zu begrüßen ist auch die Anregung, die angeblichen historischen Rechtsgrundlagen für die Staatsleistungen einmal seriös zu untersuchen und die monetäre Entwicklung seit 1919 (Weimarer Republik, Nazidiktatur, DDR-Zeit) vollständig darzustellen; dazu sollte auch die Frage gehören, wie es zu den heutigen ekla-tanten Differenzen zwischen den Bundesländern kommt, gemessen etwa am Betrag pro Kopf der Bevölkerung.
Im Einzelnen sind die Überlegungen des Berichts in diesem Zusammenhang aber in zentralen Teilen zu kritisieren:
a) Es wird von großen Beträgen gesprochen, um deren Zahlung als Ablösungsentschädigung es gehe. Ob überhaupt und in welcher Höhe Entschädigung zu zahlen ist, bedarf aber doch gerade erst der Klärung. Die Humanistische Union etwa, aber auch andere, haben mehrfach begründet dargelegt, dass angesichts der bisherigen exorbitanten, stetig gewachsenen Zahlungen (auch zu DDR-Zeiten!) eine weitere Entschädigung unter anderem aus folgenden Gründen nicht in Betracht kommt:
–  Andere Menschen und gesellschaftliche Gruppen haben existenzielle Vermögensschäden erlitten, die nicht oder nur vorübergehend staatlich entschädigt wurden, daher liegt in den Jahrhunderte lang gezahlten Staatsleistungen eine außerordentliche Bevorzugung der Kirchen in Deutschland.
–  Man sollte die Vermutung prüfen, dass die angeblich enteigneten Besitztümer der Kirchen ihre Herkunft häufig Kriegen und Gewaltakten oder unberechtigter Inbesitznahme verdankten, dass ferner diese Besitztümer als staatliche Lehen an die Kirchen vergeben waren, mit deren Einziehung diese ohnehin irgendwann rechnen mussten.
–  Nach der Revolution von 1918/1919 ist den Kirchen gerade im Hinblick auf die Trennung vom Staat das Steuererhebungsrecht verfassungsrechtlich und damit die finanzielle Unabhängigkeit vom Staat gesichert worden. Die Kirchensteuer deckt seitdem nicht nur weit über 90 % des laufenden kirchlichen Bedarfs, sondern hat die Kirchen auch zu den wohlhabendsten Religionsgemeinschaften weltweit gemacht.
–  Der Grundbesitz der Kirchen in Deutschland – namentlich, aber nicht nur der katholischen Kirche – ist heute, nach den angeblichen Enteignungen, überaus groß. Dasselbe gilt für die sonstigen Vermögenswerte. Die einzig denkbare frühere Rechtfertigung für die Staatsleistungen – die materielle Sicherstellung der Seelsorge nach den Vermögenssäkularisationen („cura religionis“) – ist damit heute nachgewiesener Maßen obsolet geworden.
–  Schließlich sollte auch die explizite Nichtübernahme von Artikel 173 der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz berücksichtigt werden. Dort hieß es: „Bis zum Erlass eines Reichsgesetzes gemäß Artikel 138 bleiben die bisherigen auf Gesetz, Vertrag und besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften bestehen.“ Diese vorübergehende Bestandsgarantie der Staatsleistungen in den Übergangsbestimmungen (!) der Weimarer Reichsverfassung gilt spätestens seit 1949 nicht mehr.

Aber auch wer alle diese Argumente ignoriert oder nicht akzeptiert, muss bei einer eventuellen Ablösungsentschädigung angesichts fehlender verfassungsrechtlicher oder gesetzlicher Vorgaben und fehlender deutscher Vergleichsfälle nicht jede beliebige kirchliche Forderung erfüllen. Andere Staaten haben vergleichbare Probleme auch pragmatisch gelöst (Italien 1929, Luxemburg 2015).

b) Die Behauptung des Kommissionsberichtes (S. 34) ist unzutreffend, dass in den neuen deutschen Ländern die Staatskirchenverträge eine faktische Ablösung bewirkt haben. Die Verträge nach 1990 unterscheiden sich insoweit nicht von denen der westdeutschen Länder vor (und nach!) 1990. Es wurden jeweils die (vermeintlichen) Verpflichtungen gem. Art. 138 Absatz 1 WRV aus der Zeit vor 1919 einvernehmlich quantifiziert. Von Ablösung ist nirgends die Rede. Das wäre ja auch eine schöne „Ablösung“, wenn einfach auf ewig weitergezahlt wird.

c) Die hinsichtlich der Staatsleistungen erhobene Forderung an die Länder nach mehr Transparenz in ihren Haushaltsplänen (S. 34 f.) geht m. E. weitgehend ins Leere, denn bei genauer Lektüre der Haushaltspläne – das tue ich seit 25 Jahren – sind die meisten Forderungen erfüllt oder nicht erfüllbar: Staatsleistungen sind per definitionem nur die Zahlungen gem. Art. 138 Absatz 1 WRV, nicht etwaige spätere staatliche Leistungsverpflichtungen; negative Staatsleistungen sind im Haushalt nicht darstellbar, allenfalls in Subventionsberichten; Baulasten werden bereits jetzt gesondert dargestellt; kommunale Verpflichtungen können in Landeshaushalte nicht übernommen werden.“

 

Stellungnahme komplett:

Haupt-Stellungnahme Kommissionsbericht Grüne