Fortgeltung des Reichskonkordats im Grundgesetz

Erläuterung, wie Konrad Adenauer es vermochte, dass der Fortbestand der Gültigkeit des Reichskonkordats im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland  festgeschrieben wurde.
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(Fortsetzung von 16. März 1933)

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Als Dr. Kindt-Kiefer am 19. Dezember 1948 frühmorgens mit seinem Wagen Dr. Adenauer an der Grenzstation Lörrach abholt, findet er seinen hohen Gast übellaunig vor und einsilbiger als sonst. Der immer gut aufgelegte Kindt-Kiefer bemüht sich vergeblich, ein Gespräch anzuknüpfen, bis Adenauer aus seinem Sinnieren heraus plötzlich fragt: „Können Sie mir morgen am Rande der Sitzung ein Gespräch mit Bidault arrangieren — unter vier Augen, vertraulich?“ Natürlich wird das für Kindt-Kiefer kein Problem sein, und da er als Dolmetscher gebraucht wird, erfährt er auch den Grund.
Was Adenauer von Georges Bidault will, ist das Verständnis der Alliierten für einen heiklen Punkt im Grundgesetz, der ihm persönlich besonders am Herzen liegt und der gerade im parlamentarischen Rat unter negativen Vorzeichen zur Debatte steht. Gereizt berichtet er über die Widersetzlichkeit im „Hauptausschuß“, der in seiner 22. Sitzung am 8. Dezember die Fortschreibung des Reichskonkordats im Grundgesetz mit 11:10 Stimmen abgelehnt habe. Dies ignoriere die Haltung des Alliierten Kontrollrats, der vor längerem auf Grund des
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Anspruchs des Vatikans bereits der Fortgeltung zugestimmt habe. Und in seiner Erbostheit über die „sozialistischen und liberalistischen“ Neinsager, entfährt es ihm, schließlich habe er seinerzeit „den Erzschelmen in Berlin die Zusicherung des Reichskonkordats abgeluchst“!
Wo und wie anders als in jenem geheimgehaltenen Zwiegespräch mit Hermann Göring kann dieses „Abluchsen“ vor sich gegangen sein?
Die Verärgerung Adenauers auf dem Weg zur „Genfer Sitzung“ am 20. Dezember 1948 geht auf einen intervenierenden Brief zurück, den ihm der Kölner Erzbischof Kardinal Josef Frings noch kurz vor seiner Abreise hat zukommen lassen. Darin mahnt Seine Eminenz in alter Freundschaft, behutsam im Ton, aber energisch in der Sache, die inhaltliche Übernahme des Reichskonkordats in das Grundgesetz nochmals an, nachdem das negative Votum im Parlamentarischen Rat bekannt geworden sei.
In der für Adenauer bitteren Hauptausschuß-Sitzung vom 8. Dezember 1948 hat allen vor-an der FDP-Vertreter, Dr. Höpker-Aschoff, später Präsident des Bundesverfassungsgerichts, starke Worte gefunden: „… Das sogenannte Reichskonkordat von 1933 ist von einer Verbrecherbande abgeschlossen worden, in der vorherigen Absicht, es nicht einzuhalten…“ Und was die ausdrückliche Anerkennung im Grundgesetz betreffe: „Das werden wir nie und nimmer tun!“
Der CDU-Antrag, wonach „bestehende Verträge zwischen Staat und Kirche in Kraft blei-ben“, unterliegt, wenn auch bloß knapp. Der Vorsitzende, Professor Carlo Schmid, schließt lakonisch: „Damit ist die Materie erledigt.“ Leider mitnichten. Durch die Rührigkeit Adenauers, der mit allen Fasern und Fibern an dem Geschöpf hängt, das er einst mit ins Leben gerufen hat, liegt „die Materie“ wieder auf dem Tisch des Hauptausschusses, der sich in seiner 46. Sitzung am 20. Januar 1949 infolge eingebrachter überrumpelnder Anträge der Einschmuggelung des Reichskonkordats auf Schleichpfaden zu erwehren hat.
Dieses Mal ist es insbesondere der SPD-Abgeordnete Georg August Zinn, nachmals hessischer Ministerpräsident, der mit den „fast unfairen“ Umweg-Vorstößen der CDU ins Gericht geht: „… Sie wollen einige Artikel der Weimarer Verfassung
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aufrechterhalten, obwohl sie sich mindestens zum Teil mit dem Grundrechtsartikel über die Religions- und Gewissensfreiheit überschneiden…“ Und weil der CDU-Antrag auf Einbindung u. a. des Artikels 138 der Verfassung vom 11. August 1919 sich ausschließlich auf dessen Absatz 2 bezieht, sagt Zinn weiter: „Ich bin auch deshalb gegen eine Einfügung, weil sein Absatz 2 die seitherigen Staatsverträge mit der Kirche behandelt…  Da Zinn darin den Versuch zu erkennen glaubt, das Reichskonkordat punktuell einzuschleusen, kommt er harsch auf dieses Hauptthema zurück: „.. .Das Reichskonkordat ist kein Ruhmesblatt für die katholische Kirche … Man weiß, daß das Reichskonkordat niemand außer Hitler abgeschlossen haben würde…“ Mit galliger Ironie fügt er hinzu: „… Das Reichskonkordat verbietet die parteipolitische Betätigung des Klerus… Herr Kardinal Frings ist der CDU beigetreten. Wenn er auf der anderen Seite betonen sollte, daß das Reichskonkordat noch in Kraft sei, so würde er bereits durch seinen Eintritt in die CDU gegen diese Verpflichtung verstoßen haben.“
Durch Kompromiß wird der strittige Artikel 138 in Gänze sowie die von der CDU/CSU beantragten Artikel 137, 139, 141 der Verfassung vom 11. August 1919 zum „Bestandteil die-ses Grundgesetzes“ erklärt. Nicht zuletzt auf Betreiben Georg August Zinns wird vorab noch der Artikel 136 der Weimarer Verfassung mit aufgenommen, der die Religionsfreiheit mit den staatsbürgerlichen Rechten verbindet.
Am 7. Februar 1949 beeilt sich Adenauer, mit einer weitschweifigen brieflichen Berichter-stattung die „sehr verehrte Eminenz“, Kardinal Erzbischof Frings, ergebenst zu beschwichti-gen, allzumalen aus Kreisen der Fuldaer Bischofskonferenz die Forderung an die Katholiken laut geworden ist, wegen der Preisgabe bedeutender Bestandteile des Reichskonkordats „gegen das Grundgesetz zu stimmen“. Hier ein bewegter Briefausschnitt:

… Es ist ferner die Konkordatsfrage in einer befriedigenden Weise gelöst, auch wenn das Reichskonkordat selbst nicht
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ausdrücklich genannt ist. Die Lösung war nicht leicht zu finden, weil das Reich, mit dem das Reichskonkordat abgeschlossen ist, ja für den Bereich, auf den das Konkordat sich er-streckt, rechtlich nicht mehr zuständig, also nicht mehr in der Lage ist, das Konkordat zu erfüllen. Es hätte also wohl nicht ohne eine gewisse Berechtigung die Theorie vertreten werden können, das Reichskonkordat sei, weil dem einen Partner, dem deutschen Reich, die Erfüllung unmöglich gemacht worden sei, hinfällig geworden. Durch die gefundene Lösung ist die Rechtsnachfolge der Länder bezüglich der Verpflichtungen des Reichskonkordats gesichert. Auch das ist m. E. ein großer Erfolg…

Dies ist ein echter Adenauer. Nicht als politisches Übel beklagt er das dahingeschwundene Reichskonkordat, nein, rein formaljuristisch trauert er seinem Wunschkind nach, das er in elf Briefzeilen gleich sechsmal beim Namen ruft, so sehr identifiziert er sich weiterhin damit. Und in dem ihm eigenen miserablen Amtsdeutsch weist er advokatisch auf die Hintertür hin, die er gefunden zu haben vermeint… Nicht zu vergessen: Der andere „Partner“, Seine Heiligkeit Pius XII., thront noch im Vatikan. Wie dürfte ein Parlamentarischer Rat, ein so gewöhnliches Gremium, derart vermessen sein, sich rechtlich über einen unfehlbaren Papst profan hinwegzusetzen?…

[…]

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